„Das Handy soll nur geladen werden, wenn es leer oder fast leer ist“, „Wenn die Akkulaufzeit abnimmt, liegt das wahrscheinlich am falschen Laden“. Sätze wie diese hat bestimmt schon jeder gehört, doch was ist dran? Ein chemisches Phänomen oder doch nur ein Mythos? Ich will in diesem Artikel näher auf dieses viel diskutierte Thema eingehen, die chemischen Hintergründe möglichst einfach erklären und so etwas Licht ins Dunkel bringen.
Entwicklung der Akku-Technologie
Als vor einigen Jahrzehnten die ersten elektrischen Geräte mit aufladbarem Akku auf den Markt kamen, veränderte dies den Umgang mit technichen Hilfsmitteln sehr. Erstmals konnte man Geräte frei bewegen, ohne dabei durch ein Kabel in der Entfernung zur Steckdose begrenzt zu sein. Damals wurden erst Nickel-Cadmium-, dann Nickel-Metallhydrid-Akkus verbaut. Letztere waren ab etwa 1990 die meistverwendeten Akkumulatoren. Dies lag zum Einen an der höheren Energiedichte, zum Anderen daran, dass die Verwendung vom krebserzeugenden, giftigen Schwermetall Cadmium immer mehr in den politischen Fokus rückte. 2006 wurde die Verwendung von Batterien und Akkumulatoren, die mehr als 0,002 Gewichtsprozent Cadmium enthalten vom Europäischen Gericht verboten.
Parallel zu diesem Geschehen wurde auch an anderen Akku-Technologien geforscht. Schon in den 1970er Jahren wurde an der TU München das grundlegende Prinzip der späteren Lithium-Ionen-Akkus erforscht. Der erste kommerziell erhältliche Lithium-Ionen-Akku war ein Lithium-Cobaltdioxid-Akku, der 1991 von Sony auf den Markt gebracht wurde.
Heute werden fast ausschließlich Lithium-Ionen-Akkus verwendet. Dies liegt maßgeblich daran, dass die Lithium-Zelle eine höhere Energiedichte aufweist als die Nickel-Vertreter. Dies bedeutet, dass man mehr Energie im gleichen Volumen speichern kann. Es können also auch kleinere Akkus verbaut werden, wenn nicht mehr Energie benötigt wird. Dies ist in der sich rasch entwickelnden Mobiltelefon-Industrie von großem Interesse, da Handys so immer kleiner und dünner werden können. Laptops hingegen schaffen es durch die leistungsfähigeren Akkus inzwischen, bei normaler Benutzung, auf teilweise acht Stunden(!). Zum Vergleich: mein erster Laptop schaffte noch nicht mal zwei…
Der Memory-Effekt
Nach diesem Ausflug in die Geschichte und Entwicklung der Akku-Technologie komme ich auf das eigentliche Thema dieses Beitrags zurück: Die Kapazität der Akkus. Bereits in den 1960er Jahren beschrieb die NASA ein Phänomen, welches kurze Zeit später als Memory-Effekt bekannt werden sollte. Den Technikern fiel auf, dass sich die Kapazität der in Satelliten verwendeten NiCd-Akkumulatoren den Ladezyklen anpasste. Die Akkus wurden nämlich unabhängig von ihrer verbleibenden Ladung (dem „Füllstand“), bei jedem Sonnenumlauf durch Solarzellen geladen. Schnell stellte sich die Kapazität so ein, dass die Akkuladung nur noch bis zum nächsten Ladezyklus reichte, obwohl sie deutlich länger hätte reichen müssen.
Die Ursache für dieses Verhalten wird auf eine Kristallbildung zurückgeführt. Beim Laden des Akkus werden aus Cadmiumhydroxid \((\ce{Cd(OH)2})\) Cadmium-Mikrokristalle, aus reinem Cadmium bestehend, hergestellt.
$$ \ce{Cd(OH)2 + 2 e- -> Cd + 2 OH-} $$
Man geht davon aus, dass sich Mikrokristalle aus nicht entladenen Bereichen beim erneuten Aufladen zu größeren Kristallen umformen. Diese haben eine geringere Obergläche und reagieren daher langsamer ab. Die Spannung bricht aus diesem Grund ein.
Dieser Einbruch der Spannung lässt sich jedoch durch ein- oder mehrmaliges, komplettes Entladen wieder beheben, ist also reversibel. Bei Lithium-Ionen-Akkus konnte ein solcher Memory-Effekt bis vor Kurzem noch nie nachgewiesen werden.
Auch bei Lithium-Ionen-Akkus wurde der Memory-Effekt beobachtet
Wie das Paul Scherrer Institut (PSI) am 14. April 2013 mitteilte, haben Forscher des PSI in Zusammenarbeit mit Kollegen des Toyota-Forschungslabros auch einen Memory-Effekt bei Lithium-Ionen-Akkus festgestellt. Die diesbezügliche Studie wurde am gleichen Tag in der Fachzeitschrift Nature Materials veröffentlicht. Betroffen seien allerdings nur Lithium-Eisenphosphat \(\ce{LiFePO4}\) Akkumulatoren. Prof. Petr Novák, Mitautor der Studie, betonte darüber hinaus, dass
„[…] die relative Abweichung der Spannung […] nur wenige Promille […]“ [1]
Prof. Petr Novák
betrage. Die Ursache für den Memory-Effekt bei diesen Akkumulatoren ist etwas komplizierter:
Die Kathode besteht aus Unmengen an \(\ce{LiFePO4}\)-Partikeln, die alle einzeln geladen und entladen werden. Dies wird als „Vielteilchen-Modell“ bezeichnet. Beim Laden werden Lithiumionen abgegeben, somit ist ein komplett geladenes Teilchen Lithium-frei und besteht lediglich aus Eisenphosphat. Beim Entladen werden hingegen die Lithiumionen „eingefangen“ und es bildet sich erneut Lithium-Eisenphosphat.
$$ \ce{LiFePO4 -> FePO4 + Li^+ + e^-} $$
Die Änderungen des Lithiumanteils während dieser Prozesse äußern sich in Änderungen der chemischen Potentiale der einzelnen Partikel. Dies wiederum, verändert die Spannung der Batterie. Der Ladeprozess läuft – anders als bei vielen anderen elektrochemischen Reaktionen– nicht linear ab. Der Ladeprozess kann grob in zwei Teile untergliedert werden: Zuerst verläuft der Ladevorgang linear, das chemische Potential erhöht sich also mit der steigenden Abgabe von Lithiumionen. Ab einem bestimmten Lithium-Anteil, dem kritischen Wert, findet ein abrupter Übergang statt. Dabei werden die Lithiumionen sehr rasch abgegeben, das chemische Potential der Partikel ändert sich allerdings nicht. So bleibt die Spannung der Batterie lange gleich, man spricht von einem Spannungs-Plateau. Diese angesprochene Potentialbarriere ist entscheidend für das Auftreten des Memory-Effekts. Nachdem die ersten Partikel die Potentialbarriere überschritten und ihr Lithiumion abgegeben haben (im linearen Bereich), kommt es zu einer Aufspaltung der Partikel. Diese Aufspaltung resultiert in einer Trennung von lithiumhaltigen und lithiumleeren Partikeln. Bei unvollständiger Ladung bleiben demnach einige lithiumhaltige Partikel zurück. Das chemische Potential dieser Partikel sinkt anschließend. Interessanterweise bleibt diese Auftrennung auch nach vollständigem Entladen vorhanden. Beim erneuten Aufladen werden also erst die zuvor auf- und entladenen Partikel über die Potentialbarriere gebracht, die zuvor nicht aufgeladenen Partikel brauchen durch ihr vermindertes chemisches Potential eine höhere Spannung um die Barriere zu überwinden und werden es folglich auch diesmal nicht schaffen.
Allerdings ist auch dieser Memory-Effekt weitesgehend reversibel. Entlädt man den Akku komplett und lässt ihn danach einige Zeit lang liegen, wird sich das thermodynamische Gleichgewicht wieder langsam herstellen. Dies bedeutet, dass das chemische Potential der Teilchen sich gegenseitig anpasst und wieder homogen verteilt ist. Nun steht einem erneuten Aufladung auf die volle Kapazität nichts mehr im Weg.
Schlussfolgerung
Der bemerkbare Memory-Effekt beim Handy und auch (fast) allen anderen elektrischen Geräten ist nach jetztigem Wissensstand ein Mythos. Er ist ein Überbleibsel aus einer Zeit in der Nickel-Akkus verwendet wurden und eine zum Teil deutlich geringere Kapazität Folge von falscher Verwendung war. Bei heutigen Lithium-Ionen-Akkus, außer beim angeführten Lithium-Eisenphosphat Akku, wurde bisher noch kein Memory-Effekt beobachtet. Für die Benutzung im Mobiltelefon oder Laptop wäre aber auch dieser Effekt nicht zu bemerken, da er viel zu gering ist. Zudem tritt er nur durch unvollständiges Laden auf, in der Regel ist das aber im Alltag nur selten der Fall. Viel eher laden wir das Gerät wieder mit halbvollem Akku auf und lassen es über Nacht, also viel zu lange, laden.
Lasst euch also nicht vom Handyverkäufer diktieren wann und wie ihr das Gerät zu laden habt und entscheidet stattdessen selbst. Solltet ihr demnächst nur noch 40% Akku haben und denken, dass das nicht für den folgenden Tag reicht, dann nichts wie ran an die Dose damit!
[1]: https://www.psi.ch/media/memory-effekt-nun-auch-bei-lithiumionen-batterien-nachgewiesen